»Denn du, du allein kennst das Herz aller Menschenkinder« (1. Könige 8,39)
Wenn wir ein wenig weiter vorne im Kapitel lesen, erfahren wir, dass es zu dieser Zeit üblich war, Personen, denen vorgeworfen wurde, sich gegen andere vergangen zu haben, heute würden wir von »Verdächtigten« sprechen, vor den Altar im Tempel zu bringen. Dort wurden sie mit einem Fluch belegt, der jedoch nur im Schuldfall zutreffen sollte. Konkret heißt das, das Urteil wurde Gott überlassen. Eine geniale Methode, oder? In Matthäus 7,1 steht »Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet«. Das wird damit voll erfüllt. Niemand muss über andere urteilen, trotzdem gibt es eine Art Bestrafung. Doch ist das heute noch praktisch möglich? Sollen wir jetzt etwa jegliche Gerichte außer Kraft setzen? Das würde unsere komplette gesellschaftliche Ordnung durcheinander bringen. Wie soll man denn jemandem erklären, der nicht glaubt, dass ein Fluch, der von Gott gegebenenfalls umgesetzt wird, einem Straftäter eine Lehre ist.
In seinem Brief an die Römer schreibt Paulus: »Jede Seele unterwerfe sich den übergeordneten staatlichen Mächten!« (Römer 13,1). Daraus folgt für mich, dass ich mich an der Stelle heraus halte. Ich halte mich nach Möglichkeit und Notwendigkeit an die weltliche Ordnung. Viel relevanter wird die Stelle im Kleinen: Es liegt nicht an mir, über meinen Nächsten zu urteilen. Er kann tun und lassen, was er für richtig hält. Ich sehe ja nur das Äußere. Einzig und allein der Herr sieht in sein Herz, sieht auch ihn als sein Kind, und ist somit berechtigt, über ihn zu Urteilen. Ich kann einen anderen Menschen, der nicht mit meinen Ansichten übereinstimmt, vor den Herrn bringen, und mich darauf verlassen, dass er tut, was richtig ist.
Genauso macht er es auch mit mir. Er sieht mir ins Herz, sieht, was dahinter steht, sieht die Motivation. Kein anderer Mensch kann über das urteilen, was ich tue. Tut er es doch, so ist es doch irrelevant für mich. Genauso irrelevant ist das Urteil anderer über Dritte. Es gibt nur einen einzigen, der Urteilen kann, und das ist der Herr.
J.F.