nachgedacht zum Monatsspruch November 2022

Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nen­nen, die aus Fins­ter­nis Licht und aus Licht Fins­ter­nis machen, die aus sau­er süß und aus süß sau­er machen!.“ (Jesa­ja 5,20)

Das Buch Jesa­ja gehört nicht unbe­dingt zu den ein­fa­chen Büchern des Alten Tes­ta­ments – genau­so übri­gens, wie auch der Pro­phet Jesa­ja sicher kein ein­fa­ches Leben hat­te. So bestehen fast zwei Drit­tel des Buches aus den soge­nann­ten „Gerichts­wor­ten“, in denen der Pro­phet den Bewoh­nern Judas und Isra­els den Spie­gel vor­hält und ihre zumeist nur ober­fläch­li­che Fröm­mig­keit anpran­gert. Dass die Bevöl­ke­rung bei sol­chen Ankla­gen und dro­hen­den Pro­phe­zei­un­gen den Mah­ner sel­ten schätzt, war nicht nur zu bibli­schen Zei­ten so. Aus die­sen Gerichts­wor­ten stammt auch der Vers für die­sen Monat.

Ober­fläch­lich wen­det sich das Wort des Jesa­ja gegen Lüg­ner und Fak­ten­ver­dre­her. Da müs­sen wir nicht lan­ge suchen, dass uns Bei­spie­le ein­fal­len – spä­tes­tens dann, wenn Angriffs­krie­ge als „Prä­ven­tiv­schlä­ge“ oder „Mili­tär­ope­ra­tio­nen“ umge­deu­tet wer­den. Aber natür­lich geht es Jesa­ja hier nicht nur um die gro­ße Poli­tik, son­dern auch um den Umgang der Men­schen unter­ein­an­der. Lüge und „Halb­wahr­heit“ haben Kon­junk­tur, wenn Men­schen eige­ne Bedürf­nis­se befrie­di­gen wol­len oder sich erhof­fen, Vor­tei­le zu erlan­gen gegen­über ande­ren oder der Gemein­schaft. Ein biss­chen Steu­er­hin­ter­zie­hung? Der One-Night-Stand? Die Notlüge?

Schnell ver­lie­ren Men­schen den Maß­stab ihres Lebens. Aus „Ein­mal ist kein­mal“ wird dann „Hat ja beim letz­ten Mal auch kei­ner gemerkt“, die Not­lü­ge belas­tet plötz­lich dau­er­haft das Ver­hält­nis zu einem Mit­men­schen, der loka­le mili­tä­ri­sche Kon­flikt ver­än­dert die glo­ba­le poli­ti­sche Lage. Jesa­ja dräng­te sei­ne Zeit­ge­nos­sen, sich wie­der den Maß­stä­ben und damit den Vor­ga­ben Got­tes zu unter­wer­fen. Auch uns for­dert die­ser Vers dazu auf, neu dar­über nach­zu­den­ken, wo wir selbst die Gren­zen ver­wi­schen und wo wir uns zurück­be­sin­nen soll­ten auf den gött­li­chen Maß­stab, so wie er uns durch Jesus Chris­tus ver­mit­telt wur­de. Nicht umsonst steht im neu­en Tes­ta­ment die Lie­be zum Nächs­ten im Mit­tel­punkt. Das Buch Jesa­ja besteht nicht nur aus den Gerichts­wor­ten, son­dern auch aus den „Trost­wor­ten“. Jesa­ja pro­phe­zeit nicht nur die Rück­kehr der Israe­li­ten aus der baby­lo­ni­schen Gefan­gen­schaft, son­dern auch detail­liert das Kom­men des Mes­si­as und Got­tes Plan für die Welt. Es bleibt also nicht nur bei dro­hen­den Wor­ten und dem stra­fen­den Gericht, son­dern Jesa­ja zeigt auch eine wun­der­ba­re Per­spek­ti­ve auf – wenn wir uns auf den rich­ti­gen Maß­stab besinnen.

Arndt Hell­wig