Ihr sät viel und bringt wenig ein; ihr esst und werdet doch nicht satt; ihr trinkt und bleibt doch durstig; ihr kleidet euch, und keinem wird warm; und wer Geld verdient, der legt’s in einen löchrigen Beutel. (Hag 1,6 (L))
Nach der Zerstörung der beiden Reiche Israel und Juda Anfang des 6. Jahrhunderts v. Chr. wurde ein wesentlicher Teil der Bevölkerung Judäas in die babylonische Gefangenschaft geführt und dort angesiedelt. Nach dem Ende des Exils und der Rückkehr eines Teils der nach Babylon verschleppten Judäer begann man im Jahre 535 v. Chr. mit dem Wiederaufbau des gut 60 Jahre zuvor zerstörten Tempels, der auf den König Salomo zurückging. Seit knapp 20 Jahren ist das Volk Israel aus der babylonischen Gefangenschaft in die Heimat zurückgekehrt. So nach und nach siedelten sich die Juden wieder in und um Jerusalem an, nachdem sie über viele Jahre in der Fremde leben mussten. Auf der einen Seite waren sie froh, wieder in der Heimat zu sein, auf der anderen Seite kämpften sie um ihr Überleben. Feindlich gesinnte Bewohner und Hungersnot brachten sie in enorme Schwierigkeiten. Man kämpft erst einmal ums Überleben. Wo soll man wohnen? Woher bekommt man Äcker, um sie zu bebauen? Denn das Land ist besetzt von den Menschen, die in Israel geblieben sind, die sich teilweise mit den Babyloniern vermischt haben. Es gilt erst einmal wieder Fuß zu fassen. Überall sieht man noch die Spuren der Zerstörung von damals. Man hat zwar auch mit dem Bau des Tempels angefangen. Aber dann gibt es Probleme mit den Besetzern. Erst einmal ist Baustopp angesagt. Inzwischen darf weitergebaut werden. Aber die Euphorie des Anfangs ist weg und es war nicht einfach, die Bevölkerung von der Notwendigkeit des Tempels zu überzeugen. Darum versuchte Haggai im Jahr 520 vor unserer Zeitrechnung eine Verbindung zwischen dem Bau des Tempels und dem wirtschaftlichen Wohlergehen des Landes herzustellen, indem er sagt, ihre erntet deshalb wenig und habt wenig zu essen und zu trinken, keine warme Kleidung und wenig Geld, weil wir Gott keinen Raum geben. Wenn wir ihm einen Raum geben, indem er auf besondere Weise gegenwärtig sein kann, wird der Rest dann von allein folgen. Der Tempel steht für die Gegenwart Gottes! Im Tempel konnte man ihm begegnen, Versöhnung erfahren, ihn anbeten und Weisung empfangen. Die Menschen erfassten nicht die Kostbarkeit der Gegenwart Gottes. Das Hauptproblem waren weder die Feinde noch die mangelnde Versorgung, sondern es war ihr Herz, dass anderen Dingen den Vorrang gab.
Haggais mahnende Worte hatten Erfolg und die Judäer gingen wieder an die Arbeit und bauten den Tempel zu Ende. Wahrscheinlich nicht ganz so prachtvoll wie der erste Tempel von König Salomo. Dem Volk Israel sagt Gott durch Haggai: Jetzt, wo ihr an dem Tempel arbeitet, bin ich mit euch!
Auch unsere Gemeinde hat in den verschiedensten Räumen ihre Zusammenkünfte abgehalten, angemietete Räume, Wohnzimmer, als Untermieter in der Nikolaikapelle, in einer Wellblechhütte auf dem Georgsplatz, und jetzt fast 70 Jahre in der Johanneskirche. Es kommt nicht auf die Schönheit und Ausstattung an, der Raum muss nicht besonders prachtvoll sein, sondern wir wollen Gott einen Raum geben, wo er uns ganz für sich hat, wir nicht abgelenkt werden und wir ihm ganz nah sind. Gott lässt sich nicht mit Gold und Silber und den schönsten Malereien von uns beeindrucken. Ja, auch wir wissen nicht, wohin wir säen und was unsere Worte bewirken.
Durch die Corona Pandemie konnten wir eine Zeitlang keine Gottesdienste in unseren Räumen abhalten oder nur eingeschränkt. Wie gut tun uns jetzt die Sonntage, an denen wir wieder bei den Präsenzgottesdiensten dabei sein können. Wir fühlen, wie gut es für uns ist, mit Glaubensgeschwistern an der Seite Gott zu loben, zu beten und auf sein Wort zu hören. Gott ist da, wenn wir seine Nähe suchen. Wir wissen es aus seiner Zusage zu uns, und manchmal spüren wir es sogar.
S. Sch.