»Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.« (Apg 5,29)
Als ich den Vers für den Monat Juni 2021 las, wurde mir etwas mulmig. Ein Vers von dessen Auslegung viel Gefahr ausgehen kann. Wenn man dieses Wort für sich alleine genommen liest, ohne Zusammenhang, könnte man alles Mögliche damit rechtfertigen. „Christlichen Terrorismus“ zum Beispiel oder die Unterdrückung von Frauen, die Verurteilung, Verachtung und Ausgrenzung von Menschen, die nicht heterosexuell sind, das Schlagen von Kindern oder die Legitimation von kriegerischer Gewalt – Worte wie diese sind im Laufe der Zeit immer wieder für Unmenschlichkeit und Gräueltaten missbraucht worden.
Andererseits enthält dieses „Gott mehr gehorchen als den Menschen“ auch großes Veränderungspotential, z.B. wenn man sich aufgrund seines Glaubens weigert, bestimmte Dinge zu tun, die andere von einem verlangen, die aber im Widerspruch zur eigenen Überzeugung stehen. Unser Gewissen ist zuerst und vor allem an Gott gebunden, und von daher können wir „nein“ sagen oder „ja“, auch wenn wir in unserer Umgebung damit auf Unverständnis stoßen.
Ja, mit diesem Wort im Rücken können wir neu und revolutionär denken und handeln. Ja, wir sind sogar dazu aufgefordert genau das zu tun, denn die Botschaft von Jesus Christus, für die wir stehen, ist revolutionär, sie ist wider dieser Welt und oft genug Grund zum Anstoß. Ja, diese Botschaft hat Sprengkraft – sie ist in der Lage ganze, von Menschenhand geschaffene Systeme zu hinterfragen, zu sabotieren und sogar zu kippen.
Das spüren auch die Apostel im fünften Kapitel der Apostelgeschichte. Sie, die, von Jesus Christus erzählen, Menschen in seinem Namen heilen und Gutes tun, werden genau wegen dieser Botschaft von den Hohepriestern ins Gefängnis geworfen und ihnen wird verboten weiter von Jesus Christus zu erzählen. Doch sie kommen auf wundersame Weise frei und spüren: Das, was sie gesehen und erlebt haben – darüber dürfen, darüber könne sie nicht schweigen. Koste es was es wolle. Die Kraft der Liebe, die durch Jesus Christus offenbart wurde, muss in diese Welt gerufen, muss in dieser Welt gelebt werden. Wenn Menschen uns davon abhalten wollen, von dieser Liebe zu erzählen, wenn Menschen uns daran hindern wollen Gottes Liebe in dieser Welt erfahrbar zu machen, dann stellen wir uns nicht stumm, dann lassen wir uns nicht den Mund verbieten. Ganz am Ende dieses fünften Kapitels heißt es dann: „…und sie hörten nicht auf, alle Tage im Tempel und hier und dort in den Häusern zu lehren und zu predigen das Evangelium von Jesus Christus (Apg 5, 42). Petrus und die Apostel haben glücklicher Weise nicht geschwiegen, denn dadurch, dass sie „Gott mehr gehorchten als den Menschen“ haben sie es erst möglich gemacht, dass du und ich diese Botschaft hören konnten.
So werden wir davor bewahrt bleiben, zu religiösen Idealisten mit Gewaltpotential zu werden, wenn wir den Ruf zur absoluten Loyalität Gott gegenüber zusammen mit dem Liebesgebot Jesu hören und leben. „Gott mehr gehorchen“ – darin steckt so viel Kraft, Geist und Kreativität, wenn wir es mit der Liebe zusammenbinden. Darum kann kein Mensch für sich alleine Gott hören, sondern wir hören gemeinsam, korrigieren einander und bewahren uns gegenseitig vor ideologischen Irrwegen. Im gemeinsamen Suchen nach Gottes Willen ermutigen wir einander, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, immer wieder neue Wege zu wagen und Gottes Liebe und Gerechtigkeit zu leben, aller Trägheit und allem menschlichen Misstrauen und Widerspruch zum Trotz. Amen!
Dirk Liebern